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28.04.2016
Throwback Thursday: 1267 Tage für 1,2 Sekunden - der Traum eines Siegers

„Ich hatte Schmerzen wie noch nie.“

Immer ein Kämpfer gewesen: Nathan Peavy (Foto: Rolf Kamper)

Im November 2012 erzählte Nathan Peavy in der ‚Bild‘ von seiner harten Zeit infolge des qualvollsten Moments in seiner Karriere.

Zum Zeitpunkt des Interviews hätte Nathan Peavy wohl selbst noch nicht gedacht, welch geradezu unendlich lange und rigorose Ausmaße sein persönlicher Leidensweg annehmen würde. Begonnen hatte alles am 23. September 2012 während eines Testspiels von seinem neuen Arbeitgeber ALBA Berlin im italienischen Varese, in dem er sich die schlimmste Verletzung in seinem bisherigen Leben zuzog. Eine Verletzung, die für seine Laufbahn existentiell bedrohliche Folgen nach sich zog.

Klang die damalige Diagnose – vordere Kreuzbandruptur und ein Impressionsbruch des Oberschenkelknochens – bereits furchterregend, so gestaltete sich der Weg zu einem Comeback noch erheblich steiniger. Bereits Ende 2012 wagte Peavy im Zuge seiner Reha erste Versuche dahingehend, möglicherweise noch in der Spielzeit 2012/2013 auf das Parkett zurückzukehren. Die erste Rückkehrmission scheiterte jedoch. Das nächste Ziel war die Teilnahme an einem Try-out für die koreanische Liga im Juli 2013. Auch diese Etappe in einer sehnsüchtigen Suche nach dem Pfad zu einem Comeback erreichte er nicht. Im Dezember 2013 traf er sich mit dem Trainer der puerto-ricanischen Nationalmannschaft, Francisco Olmos. Peavy erzählte ihm von seinem Traum – ja, von der Sehnsucht, eines Tages zurückzukehren in die Nationalmannschaft, mit der er unter anderem im Jahr 2010 an der Weltmeisterschaft in der Türkei teilnahm.

Für das Frühjahr 2014 strebte der US-Amerikaner, dessen puerto-ricanische Mutter einst als Schwimmerin im Nationalkader stand, ein Comeback in der puerto-ricanischen Liga an. Félix Rivera, damaliger Chef vom Erstligisten Quebradillas, berief Peavy in seine Mannschaft und glaubte weiterhin an die Fähigkeiten des einstigen BBL-All-Stars. Es verging endlos viel Zeit, bis die Verpflichtung des Power Forwards wirklich bestätigt werden konnte. Es verging endlos viel Zeit, weil es schließlich nie zu einer Verpflichtung kam. Zu groß waren die gesundheitlichen Bedenken im Hinblick auf eine Rückkehr auf das Parkett für den damals 28-Jährigen. Im März 2014 folgte die nächste Horrormeldung: Eine zweite Operation an Peavys rechtem Knie war vonnöten. Knorpeltransplantation. Keine Rückkehr vor 2016. Das Ende eines Traums? Nicht nur das Ende des Traums von der Rückkehr in die Nationalmannschaft, sondern das endgültige Karriereaus für den Vollblutsbasketballer, der von Sommer 2009 bis 2012 sein Herz für die Artland Dragons auf dem Parkett ließ? Puerto-ricanische Medien berichteten davon, dass die Nachricht Peavy in Tränen versetzte. Bis Mitte 2014 nahm seine damalige Agentur sämtliche Bemühungen auf sich, um einen ihrer herausragenden Klienten wieder bei einem Verein unterzubringen – vergeblich. Im gleichen Jahr vermeldete sie noch das Karriereende und damit wohl das Ende eines nach mehr als 500 Tagen Ausfallzeit ohnehin nahezu illusorischen Traums – Nathan Peavys Traums von der Rückkehr auf das Basketballfeld.

Am 27. Mai 2012 reisten die Artland Dragons zu Spiel drei einer Halbfinalserie nach Bamberg. Die zwei vorangegangenen Partien verloren die Quakenbrücker gegen übermächtige Brose Baskets deutlich. Auch in jenem dritten Spiel war für David Holston und Co. bereits nach dem ersten Viertel klar, dass die Saison an diesem Tag enden würde. In einer aussichtslosen Schlacht war es Nathan Peavy, der sich als Einziger von der ersten Sekunde an wehrte und den Kampf annahm. Der Power Forward erzielte bei der 31-Punkte-Abfuhr 18 Zähler – doppelt so viele wie der zweitbeste Dragons-Scorer. Damals wusste er noch nicht, dass diese Partie womöglich das letzte Pflichtspiel sein würde in seiner Karriere – für immer.
 
Endstation. Gleichzeitig Ausgangsstation für ein orientierungsloses Taumeln auf der Suche nach einem Pfad, der Hoffnung spendete und eine Rückkehr auf das Parkett in Aussicht stellte. Das Herumirren führte ihn karussellartig jahrelang immer wieder zur Ausgangs- bzw. zur Endstation zurück.
Doch augenscheinlich wusste Peavy bis zum heutigen Tag, dass das Spiel in Bamberg nicht das Ende sein konnte – nicht das Ende sein durfte. Auch den aussichtlosesten Kampf in seiner Karriere durfte er nicht verloren geben. Immerhin kämpfte er nach einer Hirnhautentzündung im Herbst 2010 schon einmal gegen ein viel zu frühes Ende seiner beeindruckenden sportlichen Laufbahn – erfolgreich, mehr als erfolgreich. Damals gewann er. Damals kehrte er zurück und dominierte wenige Monate später mehr als je zuvor. Sein früherer Trainer Stefan Koch („Bei Nate gab es so viele Fragezeichen bezüglich seiner Gesundheit.“, Burgmannspiegel 2016) führt Peavys Comeback nach der schweren Erkrankung heutzutage als einen der absoluten Höhepunkte in seinen drei Jahren als Trainer der Artland Dragons auf. In der Comeback-Geschichte des inzwischen 31-Jährigen sollte der Höhepunkt jedoch gerade erst noch erklimmt werden.

Denn tatsächlich: Am 13. März 2016 – 1267 Tage nach seinem Unfall in einem Testspiel – stand Nathan Peavy wieder auf dem Basketballfeld. Mehr als 700 Tage nach der Mitteilung, dass er sich einer Knorpeltransplantation unterziehen muss – mehr als 700 Tage, nachdem er die bittersten Tränen in seiner Basketballlaufbahn vergoss. Damals waren bereits mehr als 500 Tage seit jenem Testspiel vergangen. Peavy stellte sich im Frühjahr 2014 dem operativen Eingriff und bewahrte die Geduld sowie – selbstverständlich – vor allem sein Kämpferherz. Im Dezember 2015 einigte er sich mit dem puerto-ricanischen Erstligisten Atenienses De Manati auf ein Engagement für die derzeit laufende Saison. Der Besitzer des Teams ist Félix Rivera, der Peavy schon 2014 zur Seite stand und zu seinem einstigen Klub nach Quebradillas lotsen wollte. Im Februar dieses Jahres startete Nathan Peavy sein Aufbautraining und im März wurde er allmählich an das Mannschaftstraining herangeführt. Zu dem Zeitpunkt waren schon ein paar Partien absolviert in der puerto-ricanischen Liga, die ihren Spielbetrieb Ende Februar aufnimmt. In den hiesigen Medien erzählte Peavy, dass es „ihm sehr wehtut, die Spiele nur von der Bank aus zu verfolgen“. An jenem 13. März war es aber so weit: Bei dem Stande von 85:84 und 1,2 verbliebenen Sekunden auf der Uhr wurde der 32-Jährige eingewechselt. War im Augenblick der Einwechslung in Form seines Comebacks ein Teil der ‚Mission Impossible‘ erfolgreich abgeschlossen, so stand er gleich vor einer vergleichsweise absurden Mission: Er sollte bei gegnerischem Ballbesitz im Vorfeld den Einwerfer verteidigen. Der Ball ging ins Spiel. Die 1,2 Sekunden tickten herunter. Der Gegner verwarf. Peavys Team gewann.

Nathan Peavy gewann. Unmittelbar nach dem Ertönen der Schlusssirene streckte er beide Hände in die Luft. Nicht wie jemand, der gerade ein Hauptrundenspiel gewonnen hat. Auch nicht unbedingt wie jemand, der in der aussichtslosesten Schlacht seiner Karriere triumphiert hat. Eher wie ein Sieger, der einige gewaltig hohe Hürden gemeistert hat, sein großes Ziel jedoch noch nicht final erreicht hat. Schließlich erklärt Peavy seine Mission noch nicht für beendet: Weil für das Spiel mit gegnerischem Kontakt immer noch Aufbauarbeit verrichtet werden muss, kehrte Peavy Anfang April in seine Heimat in Ohio zurück. Dort will er seine Reha abschließen, um im Frühjahr 2017 ein für alle Male wieder auf dem Basketballplatz heimisch zu werden. Bis dahin lebt ein Traum weiter – ein Traum, der bei allen Schmerzen, bei allem Taumeln, bei all den Karussellfahrten und aller Banalität von 1,2 Sekunden ohnehin schon in Erfüllung ging. Nathan Peavys Traum vom Sieg im aussichtslosesten Kampf seiner Karriere.

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